HERMLE-AREAL – EINE NEUE MITTE FÜR GOSHEIM


Gemeinde Gosheim
Städtebaulicher und Freiraumplanerischer Realisierungswettbewerb, Teilnahme
mit dreigegeneinen Architektur niggl – savic – sevilgen und partner mbB
Perspektiven von Dennis Vershynin

Januar 2025


Städtebauliches Konzept:
Basis für die Neuordnung der neuen Mitte Gosheim bildet der neue Dreiklang aus Kirchplatz, Lemberg-Heuberg-Platz und Marktplatz sowie die Überlegungen zum Teilerhalt der baulichen Struktur auf dem Hermle-Areal. Ausgehend von der Sanierung, Umnutzung und Ergänzung des Hauptgebäudes des ehemaligen Uhrenwerkes wird das Stadtgefüge südlich davon schlüssig durch Neubauten, differenzierte Freiräume und einem Netz aus Rad- und Fußwegen ergänzt.

Gebäude . Bestand erhalten und ergänzen:
Das Hauptgebäude der ehemaligen Uhrenfabrik sowie der angrenzende Nebenbau entlang der Austraße bleiben als identitätsstiftender Kern des neuen Hermle-Areals erhalten. Beide Gebäude werden durch einen neuen Verbindungsbau mit großzügigen Dachterrassen verbunden. Die Dimensionen und die konstruktive Struktur der Bestandsgebäude schaffen ideale Voraussetzungen für die geplanten neuen Nutzungen. Die übrigen Gebäude des Werkes werden rückgebaut. Entlang der neuen Hermle-Passage entsteht im Süden ein „Balkonregal“, das sonnige Außenbereiche für die Wohnungen im Bestand bietet. Die Fassade der Bestandsgebäude soll möglichst unverändert bleiben, um die historische Identität des Areals zu bewahren. Zur städtebaulichen Akzentuierung des neuen Marktplatzes wird das Hermle-Gebäude im Westen im ersten Bauabschnitt durch einen viergeschossigen Neubau ergänzt. Der Neubau nimmt gestalterische Elemente und Fluchten des Bestands auf, darunter eine ähnliche Dachform, horizontale Gliederungen und die Farbgebung ausgewählter Elemente. Diese Maßnahmen schaffen eine gestalterische Verbindung zwischen Alt und Neu und verleihen dem Neubau eine optische Zugehörigkeit zum ehemaligen Werk. Zugleich bildet der Neubau den Auftakt zur neuen Hermle-Passage. In den oberen Geschossen des Neubaus entstehen moderne, attraktive Wohnungen. Das Erdgeschoss und die Passage werden durch vielfältige Nutzungen belebt, darunter ein neues Café am Platz, Co-Working-Spaces, Engagement-Raum und Werkstätten. Ruhigere Gemeinschaftsflächen für das betreute Wohnen im Erdgeschoss am neuen grünen Hermle-Anger runden das Nutzungskonzept ab. Die neue Quartiersgarage wird entlang der Austraße errichtet. Dank der Topografie lässt sich die Garage harmonisch in die Landschaft integrieren, sodass sie vom neuen Areal aus nahezu unsichtbar bleibt. Auf Straßenniveau erhält die Garage eine großflächig geöffnete, mit Rankpflanzen begrünte Fassade, die für ausreichende Belichtung und Belüftung sorgt.
Im zweiten und dritten Bauabschnitt wird die „Neue Mitte“ durch weitere Wohnbauten behutsam verdichtet. Eine um einen grünen Hof herum organisierte Bebauung greift die ortstypische Struktur zwischen Haupt- und Ringstraße auf und ergänzt sie um ein neues Cluster. Die entstehende Randbebauung bildet den neuen Marktplatz, begleitet die Achse der Hermle-Passage und schafft eine westliche Raumkante zum Hermle-Anger. Die Wohngebäude mit verschiedenen Wohntypen, darunter Townhouses, werden entlang der Ränder gegliedert und leicht zueinander versetzt angeordnet. Schrägdächer mit Dachgauben unterstützen die Integration in die vorhandene Gebäudekörnung und führen die traditio¬nelle Ortsstruktur Gosheims fort. Gleichzeitig entstehen klar erkennbare Adressen, die Orientierung bieten. Besondere Aufmerksamkeit wurde der optimalen Belichtung der Gebäude sowie der Schaffung angrenzender Freibereiche gewidmet. Jeder Wohnung stehen leicht zugängliche Fahrrad- und Müllräume zur Verfügung. Die Fassadengestaltung der neuen Wohnbauten verbindet regionale Bautradition mit zeitgenössischer Schlichtheit. Ziel ist es, wertige und nachhaltige Fassaden zu schaffen, die sich harmonisch in die regionale Baukultur einfügen und gleichzei¬tig die neue Ortsmitte prägen. Die Materialwahl und Detailausarbeitung soll dem Anspruch folgen, ein langfristig harmonisches und hochwertiges Ortsbild zu schaffen. So wird die „Neue Mitte“ nicht nur den aktuellen Anforderungen gerecht, sondern setzt auch einen zukunftsorientierten, nachhaltigen Akzent in der baulichen Entwicklung Gosheims.
Die im Ideenteil zu betrachtenden Bestandsgebäude sollen – sofern es die bauliche Substanz zulässt - allesamt erhalten und saniert werden. Das Grundstück an der Oberen Bahnhofstraße wird zudem mit Reihenhäusern ergänzt.

Freiraum . Identität stärken und Gemeinschaft fördern:
Zur Aufwertung der Hauptstraße als wichtige Verbindung zwischen den neuen Plätzen, wird die Fahrbahnbreite reduziert und als Einbahnstraße neu strukturiert. Der dadurch gewonnene Raum wird für großzügige Fußwege, Baumpflanzungen, Pflanzflächen und Terrassen- und Platzflächen genutzt. Der im Bestand stark versiegelte und räumlich undefinierte Kirchplatz wird gegliedert in einzelne Terrassen, welche über Sitzstufen miteinander verbunden sind. So entsteht auf der obersten Terrasse ein großzügiger und ebener Vorplatz vor dem Kirchenportal und der Aussegnungshalle. Die Stufenanlage wird zu beiden Seiten ganz selbstverständlich in artenreiche Wiesen-Staudenpflanzungen eingebettet. Die Zufahrt zum Pfarrhaus bleibt erhalten, tritt jedoch räumlich in den Hintergrund. Die Blickbeziehung vom Rathaus zu Kirchturm und Portal wird bewusst von Bäumen freigehalten.
Folgt man nun der Hauptstraße vorbei am Roten Platz am Rathaus nach Süden gelangt man zu dem neuen Lemberg-Heuberg-Platz. Dieser gliedert sich in den Brunnenplatz vor der Sparkasse, den gegenüberliegenden Dorfgarten sowie die Café-Terrasse an der Bäckerei Winkler. Im weiteren Verlauf der Hauptstraße gelangt man dann zum südlichen Auftakt des Hermle-Angers sowie des Luisenweges, der die Lemberg-Residenz und das Vereinsheim mit dem neuen Quartier verbindet. Schließlich gelangt man über die Brücke zur Oberen Bahnhofstraße, wo ergänzend zu einem Bestandsgebäude zusätzliche Wohnflächen entstehen.
Hier ist auch der östliche Auftakt in das neu strukturierte Hermle-Areal: die Fußgängerbrücke über die Austraße führt direkt auf das Freizeitdach der neuen Quartiersgarage, welche sich nach Süden in die Topografie hineinschiebt. Auf dem landschaftlichen Freizeitdach befindet sich neben einer Streetball-Fläche, einer Calisthenics-Anlage und einer Skatebowl, der Ausgang aus der Quartiersgarage mit direktem barrierefreiem Anschluss an den Luisenweg und die Hermle-Passage. Diese ist die zentrale fußläufige Erschließung des Hermle-Quartiers und wird begleitet von linearen Regengärten und den, dem Co-Working-Space und Engagement-Raum vorgelagerten Terrassen und Sitzstufen. Schließlich gelangt man zum Marktplatz, dem westlichen Auftakt des Hermle-Areals, welcher über Bärengasse und Ringstraße direkt mit der Hauptstraße verbunden ist. Der neue Marktplatz schiebt sich als ebene Platzfläche aus dem abfallenden Gelände heraus. Zu den nördlichen Stellplätzen bildet sich eine bepflanzte Böschung aus, zur Ecke Ringstraße / Bahnhofstraße überwinden Stufen den Höhenunterschied. Der Marktplatz bietet in seinem Zentrum eine Aufenthaltsfläche mit Sitzmöbeln im Schatten von Bäumen. Ein Wasserdüsenfeld bietet ein angenehmes Kleinklima an heißen Sommertagen und erlaubt andererseits eine temporäre Bespielung durch Veranstaltungen. Der Platzrahmen wird bespielt von einer langen Sitzbank im Norden, einer Café-Terrasse im Osten sowie dem Wochenmarkt oder anderen Veranstaltungen. Von der Hermle-Passage gelangt man überdies in den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Hermle-Anger, welcher das grüne Zentrum der Ortsmitte darstellt. Ausgestattet mit dem „Gemeinschaftsacker“, dem Uhrenwerk-Spielplatz und dem Dorf-Pavillon bietet er allen Bürger:innen einen Treffpunkt und Ort der Kommunikation. Auch der Gemeinschaftsraum des betreuten Wohnens orientiert sich mit seiner Terrasse in den Anger. Den neuen Wohngebäuden südlich des Hermle-Gebäudes werden grüne Eingangs- und gemeinschaftliche Gartenzonen zugeordnet, die mit Spielbereichen für Kleinkinder, überdachten Fahrradabstellflächen und Terrassen ausgestattet sind.
Die neu strukturierten Flächen der Hauptstraße sowie der Plätze , Passagen und Wege werden mittels eines einheitlichen Materialkonzeptes miteinander verbunden. Wasserdurchlässige Pflasterbeläge, sowie wasser- und epoxidharzgebundene Wegeflächen inkl. eines Kontraststreifens führen durch die neue Ortsmitte und erleichtern nicht nur Sehbehinderten die Orientierung.

Verkehrskonzept:
Die verkehrliche Erschließung folgt dem Anspruch, ein möglichst autofreies Quartier zu schaffen und konzentriert sich auf die Zufahrt von der Austraße für die Anlieferung der Bäckerei sowie die Stellplätze für Co-Working und Bäckerei entlang der Bahnhofstraße. Ebenso wird die Quartiersgarage von der Austraße aus erreicht und kann auch nur über diese wieder verlassen werden. In der Quartiersgarage sind die Stellplätze für alle bestehenden und neuen Gebäude des Hermle-Areals nachgewiesen. Lediglich die neue Wohnbebauung im Südosten an der Ringstraße erhält eine Tiefgarage, die von der Hauptstraße aus erreicht wird. Die Bahnhofstraße wird zur Verhinderung von beidseitigem Durchgangsverkehr zwischen Austraße und Ringstraße zur Einbahnstraße. Ebenso wird die Hauptstraße zwischen Wehingerstraße und der Brücke über die Austraße zur Einbahnstraße mit Radverkehr in beiden Richtungen. Sowohl MIV als auch ÖPNV können unter Einbeziehung von Wehingerstraße, Zinkenstraße, östlicher Hauptstraße die darüber erreichbare Austraße als funktionierendes Erschließungsnetz für die Ortsmitte weitergedacht werden. Gleichzeitig soll innerhalb des Ortes der Umstieg auf das Fahrrad gefördert und die Reduzierung des MIV unterstützt werden. Deshalb werden in der Hauptstraße zugunsten einer Auf¬wertung des Ortsbildes und der Fußgängerbereiche nur 80 von ca. 100 Stellplätzen erhalten. Im Rahmen des Mobilitätskonzeptes kann jedoch eine zeitlich strukturierte Doppelbelegung der südöstlichen Tiefgarage in Betracht gezogen werden.

Nachhaltigkeit und Klimaanpassung:
- Erhalt möglichst vieler Bestandsgebäude (graue Energie)
- temporäre Rückstauflächen bei Starkregen: Marktplatz, Sponge Gärten und die Skate Bowl
- Retentionsdächer auf den Flachdächern der Hermle-Gebäude und der Quartiersgarage
- Gründächer in Kombination mit PV-Anlage auf den Flachdächern der Hermle-Gebäude
- Indach-PV-Anlagen bei den südlichen Wohngebäuden
- Integration von Batteriespeichern
- Nutzung von Biogas oder Geothermie
- Förderung der Biodiversität: artenreiche Wiesen- und Staudenflächen mit Bienen- und Vogelnährgehölzen
- Verwendung von Klimabäumen zur natürlichen Verschattung
- Wasserspiel zur Verbesserung des Kleinklimas am Marktplatz an heißen Sommertagen
- Verwendung von wasserdurchlässigen Belägen
- Sammeln von Regenwasser in Zisternen zur Bewässerung der Vegetationsflächen
- Verwendung nachhaltiger Baustoffe
- Einsatz von energieeffizienten Heizsystemen
- Sonnenschutzsysteme
- Passive Kühlung durch Nachtlüftung und Querlüftung