Stadt Illertissen
Nichtoffener Realisierungswettbewerb, 4. Rang
Februar 2023
PERMANENZ & PALIMPSEST
Der Entwurf für die neuen Schlossgärten in Illertissen gründet auf den Theorien von Permanenz und Palimpsest. Die Schlossanlage mit ihren erhaltenen baulichen Strukturen überdauerte in der Vergangenheit mehrere Nutzungsänderungen, blieb aber als funktionierender Raum erhalten und soll auch weiterhin so bestehen bleiben. Andere Bereiche hingegen erfordern das Lesen von Spuren, um den Ort zu verstehen. Gepaart mit einem subtilen Nachzeichnen dieser sowie einer feinfühligen Überlagerung mit neuen Elementen und Nutzungen ergibt sich ein vielschichtiges Palimpsest, das die Vergangenheit des Ortes respektiert, sich auf Verschwundenes bezieht und gleichzeitig neu interpretiert, um den heutigen Anforderungen an den Ort gerecht zu werden.
Ziel des Entwurfs ist es nicht zu rekonstruieren, sondern geschichtliche Spuren ausfindig zu machen und neu zu interpretieren und im Kontext gegenwärtiger kultureller, sozialer und ökologischer Gegebenheiten das Palimpsest um eine neue Schicht zu ergänzen. Dabei ist die Bewahrung des Genius Loci ebenso entscheidend, wie das heutige Freizeitverhalten sowie ökologische Herausforderungen hinsichtlich Klimawandel und Biodiversität.
Die neuen Schlossgärten als Ruhepol und Ort des Müßiggangs, erlauben, entrückt von unserer schnelllebigen und hektischen Welt, die unmittelbare Erlebbarkeit von Geschichte, Gesellschaft und Natur gleichermaßen.
SPURENLESEN
Wenige Zeitzeugen finden sich als subtile Spuren auf dem Gelände, andere kann man nur mit Hilfe historischer Aufzeichnungen ausfindig machen. Alle gemeinsam stärken sie den Genius Loci und bilden eine neue Grundlage für die Stadtgesellschaft von heute. Ein seit jeher wichtiger Baustein für die Beziehung zwischen Stadt und Schloss ist das Entrée am Fuße des Schlossbergs in der Vöhlinstraße, das Passanten und Besucher dazu einlädt, den Schlossberg zu erklimmen. Als Pendant zum inneren Schlosshof wird der ehemalige äußere Schlosshof neu skizziert und bildet zusammen mit dem Belvedere und dem Eingangsbereich zum Schlossgarten das Herzstück der Schlossanlage. Die Relikte der historischen Mauer werden erhalten und die Lücken geschlossen. Der Terrassengarten wird analog zu seiner historischen Bestimmung als unterer Grasgarten extensiv gestaltet und subtil überformt und nutzbar gemacht. Schlossgarten und Belvedere beziehen sich auf die historische Positionierung der Gärten, nehmen Bezug auf deren Epoche und erlauben zugleich eine Neuinterpretation des Raumes.
WEGE & BLICKE
Zwei Loops erlauben die ausgiebige Erkundung des Schlossareals und seiner vielseitigen besonderen Orte. Entlang dieser Loops gibt es zahlreiche Blickbeziehungen zu entdecken, die immer wieder neue Aspekte erlebbar machen.
BESONDERE ORTE
Der Schlossberg mit dem Vöhlinschloss ist schon aus der Ferne sichtbar und ein besonderes Landmark für die Stadt Illertissen. Innerhalb des Schlossareals setzen wiederum einzelne Orte besondere Akzente mit abwechslungsreichen Atmosphären: das Entrée an der Vöhlinstraße als Auftakt am Hangfuß, der Terrassengarten mit Pomarium und Belvedere, der äußere Schlosshof mit Schlossbalkon und Pergola, der Schlossgarten mit Vidarium, Grotte und Café, sowie die beiden Terrassen des Belvederes mit Blick ins Illertal.
VEGETATION
Die bestehenden Bäume werden weitestgehend erhalten. Raumstrukturen und Blickbezüge werden durch gezielte Entnahme oder Ergänzung gestärkt. Sowohl artenreiche Blumenwiesen mit Obstbäumen als auch vielfältige Staudenpflanzungen erhöhen den ökologischen Wert des Areals, dienen als wichtige Bienenweide und bieten interessante Aspekte, die sich im Jahreszeitenverlauf stetig wandeln. Besonders im Schlossgarten spielen Hecken ein wichtige strukturgebende und raumbildende Rolle. An den Mauern des Terrassengartens ranken Kletterpflanzen und die Pergola am äußeren Schlosshof erhält durch die Berankung mit Kletterrosen eine märchenhafte Anmutung.
ENTREE VÖHLINSTRASSE
Ein neuer Platz mit Aufenthaltsqualität, visueller Beziehung zur Stadt und Informationstafel zur Geschichte des Vöhlinschlosses lädt zum Verweilen und zur Erkundung des Schlossberges ein. Durch eine kleine Stufenanlage, die sich mit der bestehenden Topografie verschneidet, entsteht eine ebene Platzfläche. Ein Sitzelement unter einem ortsprägendem Solitärbaum erlaubt es, den Ausblick auf das Schloss zu genießen. Eine Informationstafel erzählt die Geschichte des Vöhlinschlosses und Illertissens. Als Übergang zum Nachbargrundstück wird die Bepflanzung auf dem oberen Geländeniveau erneuert und aufgewertet. Weiterhin wird sichergestellt, dass die Grundstücke auch weiterhin angefahren werden können. Der Weg bis zur Stufenanlage wird im Passé-Pflasters des Platzes weitergeführt. Die Stufenanlage selbst wird saniert. An ihrem oberen Austritt entsteht ein kleiner Ankunftsort mit Sitzbank zum Ausruhen. Gegenüberliegend an der Schlossallee, am Kreuzungspunkt zur Zufahrt Parkplatz, erlauben Fahrradbügel das Abstellen des Fahrrades. Auch hier wird der Besucher über die Geschichte als auch über den Illertissener Bienenlehrpfad informiert, ehe er der aus Passé-Pflaster gebauten Schlossallee in Richtung Terrassengarten und äußerem Schlosshof folgt.
TERRASSENGARTEN & POMARIUM
Historische Karten verweisen an den nördlichen Hängen des Schlossbergs auf den unteren Grasgarten. Heute finden sich in der wild überwucherten Fläche einige malerische Eichen und an der Grenze zum Wildgehege ein ungestörter weitläufiger Blick auf das Schloss und den inneren Schlosshof. Der natürliche Charakter des Ortes soll bewahrt bleiben und trotzdem am steilen Hang Aufenthaltsorte geschaffen werden. Hierzu werden drei Ebenen in den hang geritzt, die über Stufen als auch über einen Wiesenpfad miteinander verbunden sind. Die Mauern in Stampfbeton-Optik erlauben eine Assoziation mit der Geologie der Illerleite, welcher der Schlossberg zugeordnet wird. Teilweise von Kletterpflanzen berankt verleihen sie dem Ort eine wild-romantische Anmutung. Entlang der Mauern, eingebettet in eine artenreiche Blumenwiese und überstanden von Obstbäumen laden Liege- und Sitzmöbel zum Verweilen ein. Die unterste Terrasse weitet sich nach Westen hin zum Belvedere auf, von welchem das Schloss mit seinem vorgelagerten Wildgehege in seiner Gänze erfasst werden kann. Zwischen Terrassengarten und Schlossallee wird die Fläche über dem Wasserspeicher als Picknickfläche mit zugeordnetem Spielbereich genutzt. Auch von hier gibt es einen Blick auf das Schloss sowie vom Balkon am Pumpenhaus auf die wunderschön gewachsenen Eichen an der nördlichen Grundstücksgrenze.
SCHLOSSGARTEN & VIRIDARIUM
Bewegt man sich entlang der Schlossallee auf dem in ein Passé-Pflaster eingebetteten Band aus großen Granit-Platten auf das Schloss zu, weitet sich im Bereich des Hotels der Raum auf. Auf der Fläche der ehemaligen Pkw-Stellplätze entsteht der Schlossbalkon, der sich als ebene Fläche aus dem Gelände in Richtung Osten herausschält. Auf ihm wird eine Pergola platziert, die mit Kletterrosen berankt nicht nur Aufenthaltsqualität an einer Stelle generiert, die bislang lediglich der Erschließung gewidmet war. Auch bezieht sich seine Platzierung auf die historische Situation und bildet eine räumliche Fassung des wiederentdeckten äußeren Schlosshofes, der mit dem kleinen Cafe im alten Garagengebäude mit bespielt wird. An seiner westlichen Fassade befindet wird ein großzügiger Zugang zum Schlossgarten hergestellt, indem ein kurzes Stück der Mauer rückgebaut wird. Der Schlossgarten selbst nimmt mit seiner formalen Struktur Bezug auf den ehemaligen barocken Garten, kommuniziert mit seiner Asymmetrie jedoch eine Neuinterpretation. Der Hauptweg führt von der historischen Maueröffnung im Süden auf das Schloss zu und schafft somit eine wichtige Verbindung zwischen Garten und Schloss. Die Gartenparterres sind von großzügigen artenreichen Staudenflächen umgebene Rasenflächen, die zur freien Aneignung zur Verfügung stehen und so die Bedürfnisse der heutigen Stadtgesellschaft mit den historischen Raumstrukturen in Berührung bringt. Die beiden südlichen Baumreihen werden „aufgeräumt“ und durch Neupflanzungen komplettiert. Ein Heckenlabyrinth bietet Kindern und Erwachsenen zugleich einen Spielplatz. Am topografisch tiefsten Punkt entsteht mit Grotte und Skulpturen ein Sehnsuchtsort vor der dem Hintergrund der historischen Mauer. Dieser abgesenkte Garten ist nicht zugänglich und nur visuell für den Betrachter erlebbar, der sich entlang der heran- und vorbeiführenden Wege auf Bänken und Sitzstufen niederlassen darf. Im nördlichen Teil des Schlossgartens befindet sich unter den alten Bestandsbäumen die Außenterrasse des Cafés und eine Fläche mit Liegestühlen, von welchen aus man den Blick über die bunten, von Hecken umrahmten Staudenflächen schweifen lassen kann.
BELVEDERE
Das Ensemble von Schlossgarten und äußerem Schlosshof wird ergänzt durch das Belvedere, welches von zwei Ebenen aus den Blick frei gibt auf Illertissen sowie das sich dahinter erstreckende Illertal. Die beiden Terrassenbereiche ergeben sich aus der bestehenden Topografie, welche sich kurz vor der Hangkante leicht absenkt, sowie dem Wunsch einen von Brüstungen ungestörten Weitblick zu erlauben. Der Höhenunterschied wird ausgeglichen durch dazwischen angeordneten Sitzstufen. Das untere Belvedere empfängt die neue von Nordwesten ankommende Treppenverbindung. Diese wird als Stahltreppe gebaut und muss somit nur punktuell mit Fundamenten zwischen den Bestandsbäumen verankert werden. Das obere Belvedere bietet neben dem Blick ins Illertal auch einen weiteren Blick aufs das unmittelbar angrenzende Schloss auf der anderen Seite des Schlossgrabens. Dessen Böschung erlaubt die Integration einer Hangrutsche, die Kindern das Spielen erlaubt während die Eltern sich auf den Bänken und Sitzstufen niederlassen können und untermalt vom Geplätscher der Wasserdüsen den Blick schweifen lassen können.